Mit dem nun unterzeichneten Artikel 50 hat der 2-jährige Countdown des offiziellen Brexits begonnen. Aber verstehen wir wirklich, welche Auswirkungen der Brexit auf die geschäftlichen Einkaufs- und Supply-Chain-Funktionen haben wird? Alejandro Alvarez, Director Operations Performance, Vereinigtes Königreich, erörtert wie sich Einkaufsexperten nun auf den Austritt aus der Europäischen Union vorbereiten sollten.
Wie ist die aktuelle Situation?
Wie bei vielen anderen Debatten über den Brexit, dominiert auch für den Einkauf und die Supply-Chain eine gewisse Ungewissheit über die exakten Auswirkungen. Nichtsdestotrotz wissen wir, dass die generellen Einschätzungen von steigenden Preisen ausgehen – hoffentlich jedoch wird eine gewisse Deregulierung auch zu neuen Möglichkeiten führen.
Jetzt, wo die circa zweijährigen Austrittsverhandlungen beginnen, sollte allmählich mehr Klarheit darüber gewonnen werden, wann und wie die kommenden Veränderungen die jeweiligen Unternehmen beeinflussen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Unternehmen einfach ausharren und auf mehr Informationen warten sollten.
Erkenntnisse und vorausschauende Planung sind wichtiger denn je, sodass Unternehmen auf die Zukunft nach dem Brexit vorbereitet sind. Gerade jetzt ist die richtige Zeit, um notwendige Veränderungen voranzutreiben und sicherzustellen, dass Einkaufs- und Supply-Chain-Funktionen robust und abgesichert sind.
Werden sich aktuelle Einkaufspraktiken und -prozesse verändern?
Erste Debatten über die potenzielle post-Brexit Regulierungslandschaft haben bereits stattgefunden, vorwiegend mit Bezug auf den öffentlichen Sektor. Während sich das Vereinigte Königreich historisch gesehen an den EU-Bestimmungen orientiert hat, sind große Veränderungen nach dem Brexit dennoch unwahrscheinlich, insbesondere wenn man den weiterhin notwendigen kontinuierlichen Handel mit EU-Mitgliedsstaaten bedenkt. Zudem ist eine Begrüßung einer deregulierten Marktlandschaft durch Geschäftseinheiten und Lieferanten aus dem öffentlichen Sektor unwahrscheinlich.
Für Unternehmen, sowohl aus dem öffentlichen als auch privaten Sektor, betont der Brexit jedoch die steigende Bedeutung einer ganzheitlich ausgerichteten Einkaufsorganisation und die Ausnutzung von verfügbaren kaufmännischen Optimierungshebeln im Einkauf; beispielsweise das Sourcing von Lieferquellen außerhalb der EU oder ein optimiertes Lieferantenmanagement (SRM). Unternehmen sollten zudem ihnen zur Verfügung stehende technische Hebel, wie zum Beispiel die Identifikation von Substituten, das Hinterfragen von Spezifikationen und die Optimierung des Nachfrageverhaltens, ausnutzen. Die Fähigkeit der Einkaufsorganisation zu reagieren, sich anzupassen und mit allen Mitgliedern der Wertschöpfungskette zusammenzuarbeiten ist der Schlüssel zum Erfolg.
Was könnte höhere Kosten verursachen?
1. Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit
Verständlicherweise äußern Unternehmen bereits Bedenken über mögliche Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und den damit verbundenen Auswirkungen auf Kostenstrukturen der Einkaufsorganisationen und der Lieferanten. Viele Industrien, unter anderem das Gesundheitswesen, die Landwirtschaft und die Fertigungsindustrie haben erheblich von der Möglichkeit, Arbeitnehmer aus der EU anzuziehen, profitiert. Wenn diese Mobilität beschnitten wird, kommt es neben unternehmerischen Kosten auch zu operativen Herausforderungen.
2. Handelszölle
Handelszölle stellen im Moment wohl das Thema mit der größten Unsicherheit dar. 35% der Importe des Vereinigten Königreichs könnten laut Expertenschätzungen von hohen post-Brexit Handelszöllen, als Resultat von neu verhandelten Handelsabkommen und/oder einem geschwächten Pfund, betroffen sein. Aus verständlichen Gründen ist dies eine große Sorge, da so die Fähigkeit eines wettbewerbsfähigen Handels im Vereinigten Königreich gefährdet ist. Jedoch ist dies zum jetzigen Zeitpunkt hoch spekulativ. Organisationen sollten dieses latente Risiko dennoch im Hinterkopf behalten, während Sie an dem arbeiten, was sie verändern können: Ihre Abteilung, ihr Team und ihre Lieferketten.
Wie sollten Einkaufs- und Supply-Chain-Experten jetzt vorgehen?
Experten sollten sich Zeit nehmen, um die positiven und negativen Auswirkungen des Brexits auf ihr Unternehmen und ihre Branche zu verstehen. Nur so ist es ihnen möglich potenzielle Chancen zu nutzen und Strategien gegen mögliche Risiken zu entwickeln. Der Brexit Aktionsplan in der Einkaufsfunktion sollte etwa wie folgt aussehen:
1. Identifizierung von Chancen und Risiken
Es sollte eine gründliche Risikobewertung durchgeführt werden, um ein klares Bild über die eigene Position zu bekommen. Eine Untersuchung, welche Geschäftsbereiche von den Risiken besonders betroffen sind, sollte hierbei zwingend berücksichtigt werden. Der Einfluss des Brexits auf die gesamte Branche muss zudem verstanden werden. Es ist jedoch wichtig sich nicht ausschließlich auf die Risiken zu konzentrieren, sondern ebenfalls die Chancen, die zum Beispiel durch Deregulierung entstehen können, zu identifizieren.
2. Zusammenarbeit mit Lieferanten & Supplier Relationship Management
Es liegt im Interesse der Lieferanten die Entwicklung einer gesicherten Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen effizient voranzutreiben. Mehr denn je sollte daher jetzt das Augenmerk auf starke Lieferantenbeziehungspraktiken und eine enge Zusammenarbeit aller Mitglieder der Wertkette gelegt werden, um einen Fahrplan für die zukünftige erfolgreiche Zusammenarbeit zu entwickeln.
3. Agile & flexible Geschäftstätigkeit
Durch das Risiko des Brexits und die hieraus resultierenden Einflüsse auf die Lieferketten wird die Fähigkeit zur Adaption entscheidend. Es ist an der Zeit neue Lieferquellen für kritische Güter und Dienstleistungen zu identifizieren (z.B. nicht EU-Lieferanten) und mögliche Substitute zu erkennen und zu nutzen. Das Einkaufsteam muss hierzu fähig sein, Veränderungen zu managen und voranzutreiben.
4. Entwicklung und Bindung von kompetenten Mitarbeitern
Wenn die kommenden Jahre von Unsicherheit und Instabilität geprägt sind, ist ein antriebsloses Einkaufsteam oder eine hohe Fluktuation der Mitarbeiter das Letzte was man gebrauchen kann. Mitarbeiterentwicklung und -bindung sind keine neuen Konzepte und dennoch sind sie nun entscheidend. Es wird ein kompetentes Team benötigt, das engagiert und ermächtigt ist, Veränderungen voranzubringen, um die kommenden Herausforderungen zu überwinden.
ÜBER DEN AUTOR
Alejandro Alvarez ist Director Operations Performance bei Ayming UK Limited. Herr Alvarez hat umfangreiche mehrjährige Beratungs- und Industrieerfahrung im Einkauf. Er besitzt zudem einen MBA-Abschluss von der ‘European School of Management & Technology‘.
Ayming Deutschland GmbH
Am Wehrhahn 50
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Tel.: + 49 (0) 211 71 06 75-0
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